Der Gesundheitssektor hinkt in Sachen Digitalisierung oft hinterher. In vielen kieferorthopädischen Praxen hingegen haben digitale Verfahren längst Einzug gefunden, von denen Patienten und Behandler gleichermaßen profitieren. Erfahren Sie, was in der heutigen Kieferorthopädie bereits möglich ist und warum es sich lohnt, bei der Praxiswahl genauer hinzuschauen.
Schnell, unauffällig, so angenehm wie möglich – so stellt man sich als Patient eine kieferorthopädische Behandlung vor. Viele Patienten sind heute nicht nur bestens informiert, sondern haben auch hohe Ansprüche und wollen selbst bestimmte Entscheidungen treffen, wenn es um ihre eigenen Zähne oder die ihrer Kinder geht. Verständlich ist auch der Wunsch, von Anfang an eine genaue Vorstellung von den Therapiemöglichkeiten, dem Behandlungsablauf und dem Behandlungsergebnis zu haben. Wenn man schon bei der Beratung eine Vorstellung vom Ergebnis bekommt, so hat man etwas, worauf man sich freuen kann und wird immer wieder daran erinnert, wofür man die Mühen auf sich nimmt: für ein schönes und vor allem gesundes Lächeln.
Viele Kieferorthopädie-Praxen setzen dabei noch immer auf den klassischen Zahnabdruck und das daraus hergestellte Gipsmodell zur Analyse der Fehlstellung oder zur Herstellung der Zahnspange. Dabei geht es auch anders. Die moderne Kieferorthopädie bietet zahlreiche Möglichkeiten, im Praxis-Alltag von der Digitalisierung zu profitieren. Vielerorts sind digitale Tools bereits selbstverständlich – von der Online-Terminvereinbarung, digitalen Diagnostik über die Aufklärung bis hin zur Durchführung der Behandlung und dem digital hergestellten Stabilisierungsdraht ("Retainer") hinter den Zähnen zur Langzeitstabilisierung.
Die digitale Kieferorthopädie hat dabei sowohl für den Patienten als auch für den Behandler viele Vorteile: Sie ist hochpräzise, leistungsfähig und zeitgemäß. Und sie ermöglicht für den Arzt und Patienten eine effiziente kieferorthopädische Zahnkorrektur von Beginn bis Ende der Behandlung. Deshalb ist der Begriff digitaler Workflow in aller Munde - im wahrsten Sinne...
Schon bei der Erstellung der diagnostischen Unterlagen wird in vielen Praxen auf neueste Technik gesetzt. Intraoralscanner ermöglichen die digitale Abformung der Zähne. Statt des herkömmlichen, mit einer aushärtenden Abformmasse durchgeführten Abdrucks wird eine kleine Kamera über die Zähne geführt. Das ist deutlich präziser und angenehmer für den Patienten. Die Zähne samt umliegender Strukturen werden zudem direkt und dreidimensional für den Patienten und Behandler visualisiert. Diese virtuellen Abdruckdaten bilden die Grundlage für alle weiteren digitalen Planungs- und Behandlungsprozesse.
Erfolgt der Zahnabdruck noch auf herkömmliche Weise, bedeutet dies jedoch nicht zwingend, dass man auf die Vorteile einer digital geplanten und gefertigten Behandlungsapparatur verzichten muss. Auch Abdrücke oder die daraus angefertigten Gipsmodelle können mit hochmodernen Geräten gescannt und so die benötigten digitalen Daten generiert werden.
Die klassische kieferorthopädische Diagnostik besteht aus zwei Röntgenaufnahmen: einer Übersichtsaufnahme und einer seitlichen Aufnahme des Kiefers. Die Fachausdrücke dafür sind Panoramaschichtaufnahme bzw. Orthopantomogramm (PSA / OPG / OPTG) und Fernröntgenseitenbild (FRS). In den meisten kieferorthopädischen Praxen werden moderne digitale Röntgengeräte verwendet, um die Präzision zu erhöhen und die Strahlenbelastung zu reduzieren. Die digitalen Röntgenaufnahmen lassen sich zur Auswertung optimal in die Praxissoftware einbinden und erlauben auch die digitale Weitergabe an Patienten oder Überweiser.
Weitere digitale Röntgengeräte (DVT, digitale Volumentomografie) oder eine CT (Computertomografie) finden bei ausgewählten Indikationen Anwendung. Auch diese Verfahren erzeugen 3D-Bilder und kommen unter bestimmten Voraussetzungen in der Kieferorthopädie zur Anwendung (z. B. bei verlagerten Zähnen, Zahndurchbruchsstörungen oder komplexen Anomalien des Schädels und der Kiefer). Aus den erzeugten Dateien können sogar Kiefermodelle gedruckt werden, anhand derer komplexe kieferchirurgische Eingriffe geplant werden können.
Wäre es jedoch nicht genial und motivierend zugleich, wenn man bereits vorher wüsste, wie die Zähne und Kiefer nach der kieferorthopädischen Korrektur aussehen werden? Mithilfe moderner Software-Anwendungen ist das heutzutage problemlos möglich. Beratungsgespräche im Vorfeld der Behandlung sind für Patienten (und deren Eltern) daher längst nicht mehr nur abstrakt. Sowohl der Behandlungsverlauf als auch das Behandlungsergebnis können vorab virtuell visualisiert werden und sind damit viel besser nachvollziehbar. Die Simulationen können für herausnehmbare Zahnspangen, feste Zahnspangen und Aligner (transparente Zahnkorrekturschienen) erstellt werden.
Schritt für Schritt können nach Auswertung der diagnostischen Unterlagen die verschiedenen Therapieoptionen geprüft, verschiedene Behandlungspläne erstellt und Zahnspangen geplant werden. Auch bei komplexen kieferorthopädischen Behandlungen, die einen interdisziplinären Ansatz erfordern (z. B. kieferorthopädisch-kieferchirurgische Therapien), haben diese digitalen Tools viele Vorteile.
Mithilfe modernster CAD/CAM-Technologie (computergesteuertes Design und computergesteuerte Herstellung) können auch feste Zahnspangen präzise geplant und die Brackets individuell maßgefertigt werden. So sind die Informationen der jeweils angestrebten Zahnbewegungen bereits in die Geometrie jedes einzelnen Brackets einprogrammiert. Auch die Bögen, die in den Brackets befestigt werden, werden computergesteuert von einem Roboter in die individuelle Form gebracht. Im Zusammenspiel mit den Brackets ermöglichen sie so hocheffektive und präzise Zahnkorrekturen und passen sich den anatomischen Besonderheiten der Zahnoberfläche an. Diese Technik kann bei Brackets verwendet werden, die auf die Außenseite der Zähne geklebt werden, aber auch für die auf der Innenseite der Zähne geklebten Brackets (Lingualtechnik).
Die optimale Positionierung der Brackets auf den einzelnen Zähnen erfolgt ebenfalls virtuell am Bildschirm. Damit diese Brackets dann später auch genauso exakt im Patientenmund platziert und geklebt werden können, kommen digital geplante und anschließend 3D-gedruckte Übertragungs-Schablonen zum Einsatz. (Klebetrays für indirektes Kleben von Brackets und Attachments). Wobei wir beim nächsten digitalen Tool wären: dem dreidimensionalen 3D-Druck.
3D-Drucker können unterschiedliche Materialien verarbeiten - flüssige wie feste - je nachdem, welches Druckverfahren zur Anwendung kommt. Auf Basis digitaler Daten können so z. B. Modelle des Zahnstatus als Ersatz für die herkömmlichen Gipsmodelle gedruckt werden. Auf diesen wird dann anschließend im kieferorthopädischen Dentallabor die Zahnspange gefertigt.
Dank modernster Druckmaterialien sind Zahnspangen, Korrekturschienen (Aligner), Halteschienen für die Nacht oder Kiefergelenksschienen (CMD-Schienen) druckbar. Selbst kieferorthopädische Behandlungsapparaturen aus Metall sind mithilfe spezieller Druckverfahren bei hoher Genauigkeit realisierbar.
Virtuell konstruierte kieferorthopädische Apparaturen ermöglichen nicht nur flexible und hochpräzise Behandlungen. Da die zugrundeliegenden Patientendaten digital vorliegen, können diese zudem bei Bedarf jederzeit erneut abgerufen und genutzt werden. Dadurch lässt sich beispielsweise ein verlorengegangener Aligner oder eine Nachtschiene schnell wieder ersetzen.
Ist die kieferorthopädische Behandlung abgeschlossen, muss das Ergebnis stabilisiert werden. Mithilfe von hinter den Zähnen geklebten Drähten (feste Retainer) werden die Frontzähne stabilisiert. Zusätzlich werden die Zähne und die Kieferform mit Nachtspangen oder Nachtschienen gesichert. Auch diese lassen sich virtuell planen und mittels 3D-Druck herstellen. So bleibt das Ergebnis nicht nur virtuell, sondern auch nachhaltig, perfekt.
Übrigens: Wer Freunden, Bekannten oder Verwandten mit stolz geschwellter Brust Vorher-Nachher-Fotos seiner kieferorthopädischen Behandlung zeigen möchte, kann das gerne jederzeit tun. Viele Praxen haben ihre Organisation längst auf digitale Füße gestellt, sodass Patienten nicht nur von Online-Terminen bzw. Terminerinnerungen per SMS oder E-Mail profitieren. Sämtliche Unterlagen werden digital archiviert und stehen per Knopfdruck über moderne und sichere Software-Lösungen zur Verfügung.
Kann ein Patient z. B. aufgrund einer längeren Krankheit oder eines Auslandsaufenthalts den anstehenden Kontrolltermin ausnahmsweise einmal nicht wahrnehmen, ermöglichen digitale Monitoring-Systeme die Kontrolle des Therapiefortschritts durch den Behandler aus der Ferne. Ist alles in Ordnung, sieht man sich beim nächsten regulären Praxistermin. Besteht hingegen dringender Handlungsbedarf, etwa weil ein Bracket abgegangen ist, kann der Kieferorthopäde kontaktiert und ein SOS-Termin vereinbart werden.
Der digitale Workflow in der Kieferorthopädie beschränkt sich nicht nur auf einen Intraoralscanner statt herkömmlichem Abdruck. Der kieferorthopädische Mikrokosmos ist komplex und hat ein großes Zukunftspotenzial – für Ärzte wie Mitarbeiter - aber vor allem für den Patienten!
Quellen: