Dass Kieferorthopäden und Zahnärzte Kinder zum Logopäden schicken, ist keine Seltenheit. Doch wie hängen Zahn- und Kieferfehlstellungen eigentlich mit dem Fachgebiet der Logopäden – Sprechen, Stimme und Schlucken – zusammen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen und erklären, warum Kieferorthopäde, Zahnarzt und Logopäde sich abstimmen sollten.
Zähne, Kiefer, Mundmuskulatur wie Lippen und Zunge bilden eine funktionelle Einheit. Beispielweise kann ein fehlender Lippenschluss zu vorstehenden Zähnen führen oder eine Zunge, die in Ruhestellung, beim Schlucken oder Sprechen falsch im Mund liegt, die Stellung der Zähne negativ beeinflussen. Umgekehrt können Fehlstellungen der Zähne und Kiefer zu falschen Zungenbewegungen und Sprachproblemen führen. In diesen Fällen müssen Kieferorthopäden und Logopäden zusammenarbeiten. Der Fachzahnarzt für Kieferorthopädie behebt die Fehlstellung, der Logopäde übt mit dem Patienten die korrekte Lage bzw. die korrekten Bewegungsmuster von Lippen und Zunge. Der korrekte Lippenschluss ist die Voraussetzung für eine regelrechte Zungenlage.
Beim Atmen, Kauen, Schlucken und Sprechen müssen viele verschiedene Muskeln im Mund-, Hals- und Gesichtsbereich harmonisch zusammenspielen. Allein beim Schlucken sind 50 Muskelpaare beteiligt, deren Kontraktionen genauestens aufeinander abgestimmt sein müssen. Sind die komplexen Bewegungsabläufe gestört oder unausgewogen, kann es zu Problemen kommen, z. B. zu Mundatmung, zu einer falschen Ruhelage der Zunge, einer falschen Schlucktechnik oder Lispeln. Mit dem umgangssprachlich verwendeten Begriff Lispeln ist eine Fehlartikulation der Zischlaute gemeint, die als Sigmatismus bezeichnet wird.
Beim Atmen, Kauen, Schlucken uns Sprechen müssen viele verschiedene Muskeln im Mund-, Hals- und Gesichtsbereich harmonisch zusammenspielen. Am Allerwichtigsten ist der Lippenschluss mit Nasenatmung. Erst wenn die Lippen die meiste Zeit geschlossen sind, kann die Zunge ihre richtige Position in Ruhe am Gaumen einnehmen.
Man spricht auch von einer myofunktionellen Störung – also einer Muskelfunktions-Störung, in diesem Fall im Mund-Gesichtsbereich (orofazial). Die entsprechende Behandlung nennt man myofunktionelle Therapie. Sie wird von einem Logopäden durchgeführt. Da die Ursachen für myofunktionelle Störungen sehr unterschiedlich sein können, sind ärztlicherseits unterschiedliche Fachdisziplinen involviert. Oft ist es der Kinderarzt, Kieferorthopäde, Zahnarzt oder HNO-Arzt, der den Patienten zur Logopädie überweist. Die myofunktionelle Kieferorthopädie gehört damit zur präventiven Kieferorthopädie, welche die Ursachen von Kiefer- und Zahnfehlstellungen behandelt.
Bei Neugeborenen und kleinen Kindern ist es normal, dass die Zunge sich beim Schlucken nach vorn, also in Richtung Lippen bewegt. Das wird auch als kindliches oder viszerales Schluckmuster bezeichnet. Zwischen dem zweiten und dem vierten Lebensjahr sollte sich das ändern: Die Zunge sollte dann beim Schlucken hinter den geschlossenen Zahnreihen bleiben und diese nicht berühren. Wenn diese Umstellung auf das somatische Schluckmuster ausbleibt und das Kind stattdessen das viszerale Schluckmuster beibehält, drückt die Zunge bei jedem Schluckakt gegen die Zähne – das ist 1000 bis 2000 Mal am Tag der Fall. Die Zunge übt dabei jeweils eine Kraft von 1,5 bis 3 Kilogramm aus. Manchmal liegt die Zunge auch in Ruhe oder beim Sprechen zu weit vorn („Lispeln“) und stößt an die Zähne an oder wird sogar zwischen den Zähnen hindurchgepresst. Das begünstigt Zahn- und Kieferfehlstellungen wie hervorstehende Frontzähne oder einen offenen Biss mit einer Lücke zwischen oberer und unterer Frontzahnreihe.
Normalerweise liegt die Zunge in ihrer Ruheposition am Gaumen an und übt dort kontinuierlich einen leichten Druck aus. Tut sie das nicht, fehlt dem Gaumen ein wichtiger Wachstumsreiz. Die Zungenruhelage am Gaumen ist nämlich der Wachstumsmotor für den Oberkiefer. Folgen einer falschen Zungenruhelage sind ein zu hoher Gaumen, ein schmaler Kiefer, der den Zähnen zu wenig Platz bietet, und eine enge Nase. Das Wichtigste aber für eine regelrechte Zungenruhelage am Gaumen ist der Lippenschluss mit Nasenatmung.
Die Nasenatmung hat übrigens noch viele weitere Vorteile für unsere Gesundheit, die wir in einem anderen Beitrag erklären.
Zahn- und Kieferfehlstellungen, die durch Muskelfunktionsstörungen verursacht oder mit verursacht werden, können nicht durch eine Zahnspangenbehandlung allein behandelt werden. Sonst würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückfall kommen. Eine myofunktionelle Therapie kann wie eine „Kieferorthopädie ohne Zahnspange“ wirken. Sie kann negative Folgen der Muskelfunktionsstörung abmildern, die kieferorthopädische Behandlung unterstützen und deren langfristigen Erfolg sichern.
Gründe für eine logopädische Mitbehandlung bei Kindern sind z. B.
Die Logopädie zielt darauf ab, das gesunde Gleichgewicht der Muskelfunktionen herzustellen. Dafür wird zunächst der Lippenschluss mit Nasenatmung trainiert. Anschließend folgt die Schulung der Wahrnehmung und Sensibilität im Mundbereich mit korrekter Ruhelage der Zunge einschließlich des Schluckens.
Muskelfunktionen wie Lippen und Zungenschwäche werden gezielt durch Lippen-, Zungen-, Puste- und Ansaugübungen trainiert. Lispeln und andere Sprechstörungen werden behandelt. All dies geschieht sehr kindgerecht und spielerisch. Auch die Eltern werden mit einbezogen und informiert, damit sie ihr Kind unterstützen und motivieren können. Denn meist gibt es auch "Hausaufgaben". Sie sind wichtig, denn nur wer regelmäßig trainiert hat Erfolg. Aber es lohnt sich, denn vom richtigen Atmen durch die Nase, gerade Zähnen und richtigem Sprechen profitieren wir ein Leben lang!
Das ist sehr unterschiedlich und hängt unter anderem von der Komplexität der Störung, vom Alter und von der Mitarbeit des Patienten ab. Eine Verordnung umfasst in der Regel sechs bis zehn Therapiesitzungen. Damit Umstellungen aber langfristig verinnerlicht werden (Automatisierung) braucht es häufig Folgerezepte.
Auch das kann man nicht pauschal beantworten. Manchmal ist es sinnvoll, zuerst die logopädische Behandlung abzuschließen, bevor man mit der KFO-Behandlung beginnt. Manchmal erübrigt sich sogar die Zahnspange durch eine früh einsetzende myofunktionelle Therapie. In anderen Fällen müssen zuerst Zahn- oder Kieferfehlstellungen korrigiert werden, z. B. wenn der Lippenschluss durch die große Frontzahnstufe gar nicht möglich ist oder wenn ein sehr schmaler Gaumen der Zunge zu wenig Platz bietet. Und auch während des Zahnwechsels – etwa wenn gerade die Frontzähne fehlen – können bestimmte logopädische Übungen nur schwer gelingen. Deswegen ist es wichtig, dass Kieferorthopäde und Logopäde sich abstimmen und eng zusammenarbeiten.
Was man pauschal sagen kann: Ein Besuch beim Kieferorthopäden ab dem vierten Geburtstag lohnt sich auf jeden Fall, bei Auffälligkeiten auch früher. Dafür brauchen Sie keine Überweisung. Zwar gilt wie so oft: Je früher man schlechten Angewohnheiten entgegenwirkt, desto besser kann man sie bekämpfen. Aber auch Jugendliche und sogar Erwachsene mit myofunktionellen Störungen sind noch therapierbar – z. B. wenn ein Lispeln im Kindesalter nicht behandelt wurde und erst später störend auffällt.
Fazit:
Die Entwicklung des Gesichts und der Kiefer erfolgt in enger Wechselwirkung zur Funktion. Eine gestörte Funktion (Dysfunktion) hat einen Einfluss auf die orofaziale Form, d.h. unser Aussehen im Gesicht. Eine Zusammenarbeit von Logopäden, Zahnärzten, Kieferorthopäden, Kinderärzten, HNO-Ärzten oder anderen Therapeuten ist wichtig. Eine logopädische Behandlung sollte nach Absprache vor, begleitend und/oder nach einer kieferorthopädischen Therapie erfolgen. Mit einer myofunktionellen kieferorthopädischen und logopädischen Therapie sollte frühzeitig begonnen werden.
Quellen: